Exklusives Interview mit Nana Siebert,
stellvertretender Chefredakteurin beim STANDARD

Liebe Nana, vielen Dank, dass du dir heute für uns Zeit nimmst, um unseren Newsletter-Leser:innen einen Einblick in deine Arbeit und das redaktionelle Umfeld des STANDARD zu geben!

Zum Einstieg interessiert uns deine Aufgabe beim STANDARD – was genau ist deine Rolle?

Die Chefredaktion besteht aus Chefredakteur Gerold Riedmann, der vor allem die strategische Ausrichtung verantwortet. Sein Stellvertreter-Team, dem ich mit Rainer Schüller und Petra Stuiber angehöre, kümmert sich im Rad um die inhaltliche Tagesproduktion für Print und Online.

Dazu leite ich organisatorisch 12 Ressorts – von Wissenschaft über Lifestyle bis zum Datenjournalismus- oder Podcast-Team. Und ich bin verantwortlich für Langfristprojekte wie Schwerpunktausgaben, zuletzt etwa zur US-Wahl, oder aufwendigere Datenformate. Außerdem bin ich die redaktionelle Schnittstelle zu manchen anderen Verlagsabteilungen, etwa dem Sales-Team oder auch projektbezogen unserem B2C-Abo-Team.

Seit wann arbeitest du für den STANDARD und was hast du vorher gemacht?

Ich bin seit knapp sieben Jahren Mitglied der Chefredaktion beim STANDARD – und wahnsinnig stolz, bei einem der innovativsten Medienunternehmen des Landes zu arbeiten, mit den Pionieren auf dem Gebiet digitaler Medien. Davor war ich lange Jahre Journalistin bei verschiedenen Magazinen der Verlagsgruppe News, habe dort die iPad-Auftritte von profil und News entwickelt und ab 2013 die Leitung des Online-Portals des Frauenmagazins WOMAN übernommen, wo ich dann später auch Mitglied der Chefredaktion war.

Nana Siebert
stellvertretende Chefredakteurin

Foto: Heidi Seywald
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Wie groß ist die Redaktion des STANDARD und wie viele Teams wirken mit, damit jeden Tag alles gut funktioniert?

Inklusive Korrespondenten, Bildredaktion und Newsroom-Assistenzen arbeiten in der Redaktion rund 180 Leute. Damit unsere Produkte aber den ganzen Tag über zu lesen, hören und betrachten sind, braucht es noch wesentlich mehr Abteilungen. Etwa ein Korrektorat, das Tippfehler oder auch die Schreibweise bestimmter Namen überprüft, eine Mediengestaltung, die fantastische Layouts und übersichtliche Grafiken erstellt, die Bildbearbeitung, ein Social Media-Team, Datenanalyst:innen, UX-Designer:innen oder Entwickler:innen, die IT und den Support … und natürlich auch das UGC-Team, das die Foren moderiert. Es müssen schon jede Menge Räder ineinandergreifen.

Auf welchen Plattformen und in welchen Formaten bietet der STANDARD den Leser:innen und User:innen Nachrichten an?

Neben der Zeitung, dem ePaper und derStandard.at, einer der größten Nachrichtenseiten des Landes, gibt es unsere Podcasts auf allen großen Plattformen wie Spotify oder Apple Podcasts zu hören; unsere Videos wie die hintergründige Serie „Österreich erklärt“ kann man natürlich auch auf YouTube sehen. Unsere Social Media-Abteilung produziert Content für TikTok, Instagram oder LinkedIn, wir sind auf X und Facebook – und wir veranstalten Live-Events etwa mit dem Burgtheater, mit der Universität Wien oder im Theater im Park, wo wir unseren Journalismus noch erlebbarer machen.

Und wie und wo erreichen wir die meisten Menschen? Wie hat sich das Nutzungsverhalten in den letzten Jahren verändert?

Die meisten Menschen erreichen wir natürlich über unsere Website – und hier vor allem mobil. Bereits 70 Prozent der Nutzer:innen greifen über das Smartphone auf derStandard.at zu. Das hat auch das Nutzungsverhalten diametral verändert. Früher waren die „Peaktimes“, also die Zeiten, in denen besonders viele Menschen auf Nachrichtenseiten zugreifen, recht klar abzustecken: Um ca. 9 Uhr, wenn man im Büro den ersten Kaffee trinkt und am Desktop Nachrichten liest, dann wieder nach der Mittagspause und schließlich vor Büroschluss. 

Jetzt merken wir den ersten Anstieg bereits um 5 Uhr morgens – und die Nutzung bleibt bis in den späten Abend relativ gleichmäßig hoch. Und es gibt immer mehr Menschen, die Inhalte als Podcasts konsumieren.

Haben wir unser Angebot entsprechend dem geänderten Nutzungsverhalten adaptiert?

Unsere Nutzer:innen kommen mehrmals und sollen jedes Mal neue, für sie relevante Nachrichten vorfinden. In der Früh wollen wir sie in den Tag hinein informieren, abends ist mittlerweile das TV-Gerät der Second Screen und das Handy der First Screen. Da reißt das Bedürfnis nach News nicht ab, aber es steigt auch das Interesse an ausgeruhteren Inhalten.

Wir müssen also unsere Inhalte stärker nach User:inneninteressen verteilen. Und es bedeutet, dass wir Großlagen und gesellschaftspolitische Debatten noch mehr als früher über den gesamten Tag begleiten. Deshalb setzen wir auch das Projekt digital first sehr konsequent um. Jeder Artikel soll zuerst für unsere Website produziert werden. Mit unserem täglichen „Thema des Tages“ haben wir außerdem eines der erfolgreichsten Audio-Nachrichtenformate des Landes geschaffen; in Kooperation mit dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel liefern wir mit „Inside Austria“ hintergründige Audio-Serials für Millionen von Hörer:innen.

Kannst du uns etwas über den neuen Workflow in der Redaktion erzählen? Warum haben wir das gemacht und welche Vorteile bringt das mit sich?

Wir haben ein Printteam gegründet, das die Qualität der gedruckten Zeitung sichern und ausbauen soll, indem es die Produktion verantwortet, kuratiert und gestaltet. Gleichzeitig wird dem Großteil der Redaktion auf diese Weise ermöglicht, sich auf Recherche und Schreiben zu konzentrieren – unabhängig vom Layout. Damit nehmen wir Online noch mehr Tempo auf, auch dank unseres Online-Newsteams, das die hochspezialisierte, schnelle Einsatztruppe bei Nachrichten ist.

Den Workflow bei Breaking News schauen wir uns auch an einem Beispiel an.

Zu den spannendsten Momenten in einer Redaktion gehören Breaking News-Situationen wie etwa am 7. Oktober letzten Jahres, als die Terrororganisation Hamas den Überfall auf Israel gestartet hat. In der Sekunde sind vom Newsteam bis zum betroffenen Ressort – in diesem Fall die Außenpolitik – sofort alle Kolleg:innen im Einsatz. Was für uns in diesen Momenten trotz hohen Newsdrucks wichtig ist: Als Qualitätsmedium berichten wir nur, was gesicherte Information ist, also etwa durch mehrere Nachrichtenagenturen bestätigt wird. Gerade auf Social Media explodiert dann die Zahl der Falschnachrichten. Um diesen Gerüchten etwas entgegenzuhalten ist es mittlerweile auch extrem wichtig zu berichten, was man nicht weiß.

Welche Rolle spielen Daten in deiner täglichen Arbeit?

Daten spielen eine sehr wichtige Rolle. Sie geben uns Einblick, welche Themen die Nutzer:innen besonders interessieren, über welche Kanäle und Plattformen sie zu uns finden, welche Inhalte sie besonders lang lesen. Das hilft unseren Online-CvDs bei der Aussteuerung der Website. Es wäre aber ein Fehler, daraus den Umkehrschluss zu ziehen, dass eine Redaktion nur mehr das machen sollte, was „gut klickt“. Zu den Kennzeichen eines Qualitätsmediums gehört es auch, Themen Raum zu geben, die wir aus journalistischer Sicht für wichtig halten, selbst wenn sie nicht vordergründig die breite Masse ansprechen – etwa Berichte über die Genschere CRISPR oder Datensicherheit. 

Wir haben aber das Glück, eine sehr kluge, interessierte Leser:innenschaft zu haben: Erst vor ein paar Tagen war etwa ein Text über die Entdeckung des Gravitons, eines Teilchens hinter der Schwerkraft, der meistgelesene Text des Tages. Das liegt auch daran, dass wir im Gegensatz zu vielen anderen österreichischen Medien an hervorragende Wissenschaftsberichterstattung glauben und in sie investieren. Und wir haben noch einen Vorteil: Die STANDARD-Community, die uns ständig Feedback zu unserer Arbeit gibt. Wir erhalten einen Community-Report mit den Fragen oder Recherche-Anregungen, die unsere Nutzer:innen für uns haben. Ein wichtiger Indikator, wo es noch mehr Information, einen Faktencheck oder Analyse braucht.

Was bedeutet qualitätsvoller Journalismus für dich?

Es ist ein um profunde Analyse und Recherche bemühter Journalismus, der seine kritische Wächterfunktion ernstnimmt, äquidistant und unabhängig gegenüber allen politischen Parteien, Institutionen und Unternehmen berichtet. Der Bericht und Meinung trennt, sorgsam mit Quellen umgeht, Fehler transparent behebt. Der neue Perspektiven eröffnet, sein Relevanzversprechen nicht bricht durch eine permanente Skandalisierung des politischen Lebens oder eine auf Dauer abstoßende Konformität der Meinungen. Und der durchaus auch mal intelligent unterhalten darf.

Was sind deiner Meinung nach die größten Herausforderungen vor denen eine Qualitätszeitung wie DER STANDARD steht? Sowohl Print als auch online.

In Zeiten, in denen sich Des- und Missinformation so schnell verbreiten lässt wie nie zuvor, sind auch Journalistinnen und Journalisten so wichtig wie nie zuvor. Und trotzdem ist der finanzielle Druck auf Medienhäusern enorm, kostet guter Journalismus und seine Distribution eine Menge Geld. Das ist eine der größten Herausforderungen. Inhaltlich herrscht ein hoher Druck nach Schnelligkeit, dazu erleben wir eine Schleife der Dauereskalation und Skandalisierung. Eine Leserin hat einmal etwas gesagt, was mich sehr zum Nachdenken gebracht hat: „Ich weiß gar nicht mehr, worüber ich mich tatsächlich aufregen muss oder wo mir suggeriert wird, dass ich mich aufregen müsste.“ Ich finde, dass das eine große Aufgabe für den Journalismus ist. Mehr Ruhe und Einordnung in Debatten zu bringen.

Zum Abschluss wüssten wir gerne, welches dieses Jahr der bisher erfolgreichste Artikel war. Also der Beitrag mit der größten Verweildauer auf derStandard.at.

Unsere Live-Ticker sind absolute Assets – wenn etwas los ist, dann kommen die österreichischen Nutzer:innen zu uns und halten sich darüber up-to-date. Unser Live-Ticker zur Hochwasserkatastrophe in Wien und Niederösterreich zum Beispiel hatte rund 124.000 Verweildauerstunden, ein unglaublicher Wert. Dann natürlich unsere stark debattierte Investigativ-Geschichte über die turbulente EU-Kandidatur der grünen Spitzenkandidatin Lena Schilling – oder unser interaktiver Wahlkompass, über den User:innen vor der Nationalratswahl herausfinden konnten, welcher Partei sie inhaltlich am nächsten stehen.

Vielen Dank für deine Zeit und für die spannenden Einblicke in deine tägliche Arbeit und in den Newsroom des STANDARD!