Geburtstagsinterview mit Gerlinde Hinterleitner anlässlich „30 Jahre derStandard.at“

Am 2. Februar 1995 war es tatsächlich so weit: Oscar Bronner präsentierte pünktlich um 10:00 Uhr bei einer Pressekonferenz die aktuelle Ausgabe des STANDARD am Computerbildschirm. Wer steckte hinter diesem großartigen Projekt und hat derStandard.at ins Leben gerufen?

Liebe Gerlinde, vielen Dank für deine Zeit! Erzähle unseren Leser:innen ein wenig von dir. Wer bist du und was machst du beim STANDARD?

Mein Name ist Gerlinde Hinterleitner und ich arbeite seit 1991 beim STANDARD.

Mein Werdegang ist sehr vielfältig und abwechslungsreich – ich habe schon viele verschiedene Aufgaben gehabt. Aktuell bin ich für die Verlagsleitung digital zuständig und  verantworte die Produktentwicklung, außerdem leite ich die Teams für SEO (Search Engine Optimization), UGC (User Generated Content) und Social Media. In meiner Funktion bin ich auch Mitglied des Managementboards Publizistik.

Du hast es geschafft, den STANDARD schon richtig früh ins World Wide Web zu bringen. Wie ist dir das gelungen?

Das war tatsächlich eine „B‘soffene G‘schicht“. Eines Tages nach der Arbeit, sind wir ins Wirtshaus gegangen, zusammen mit der Eva Linsinger vom ORF (damals Profil) und ein paar anderen Leuten vom STANDARD. Wir waren im Gasthaus und der Freund von Eva, Thomas Seifert, ist gerade  aus den USA zurückgekommen. Der war total von den Socken, weil er das erste Magazin im Internet gesehen hatte. Das war im Herbst 1994 und das Time Magazine war im Internet abrufbar. Er war darüber so euphorisch! Wir waren dann genauso begeistert, sind nach Hause gegangen und dachten uns, das sollten wir auch machen – wir bringen den STANDARD in das Internet!

Am nächsten Tag haben wir begonnen, dieses Projekt umzusetzen. Wir wollten den STANDARD weltweit abrufbar machen. Es war und ist ja ein großer Aufwand, die Zeitung  als gedruckte Ausgabe an die Leser:innen zu verteilen. Unsere Idee war: Wir machen den STANDARD weltweit verfügbar.

Dafür haben wir dann tatsächlich nur wenige Monate gebraucht.
Am 2.2.1995 ist derStandard.at online gegangen. 

Gerlinde Hinterleitner
Verlagsleitung digital

Foto: Lukas Friesenbichler

Wie haben wir das umsetzen können?

  • Ein paar wenige Menschen haben an Großes geglaubt.
  • Wir hatten die Zeit, um uns dieser Sache widmen zu können.
  • Wir haben uns ein Modem organisiert und an einen der beiden PCs, die es damals beim STANDARD gab, angesteckt.
  • Es gab in Wien damals nur eine Person, die HTML programmieren konnte. Wir mussten diese Person ausfindig machen, was uns gelungen ist. Für 10.000 Schilling wurde dann die erste Version von derStandard.at erstellt.
  • Die Texte haben wir auf eine Floppy Disk (= Diskette) kopiert und dann zu Fuß zum PC transportiert
  • Jeden Tag am Abend haben wir eine neue Version der Website online gestellt.
  • Schließlich war die Sensation gelungen!
    Viele Auslandsösterreicher:innen in den USA hatten Zugang zu PCs und konnten plötzlich Nachrichten in Echtzeit aus ihrer Heimat lesen. Vorher haben sie Nachrichten in Form von Magazinen mit 10 bis 12 Tagen Verspätung via Post erhalten. Das waren also unsere ersten großen Fans, die Österreicher:innen im Ausland.
Gerlinde Hinterleitner, Hamidi-Grübl Parisa, derStandard.at, 30 Jahre Standard.at

Foto: derStandard/Friesenbichler

Unter der maßgeblichen Initiative der heutigen Verlagsleiterin digital – Gerlinde Hinterleitner – geht DER STANDARD am 2.2.1995 online und ist damit die erste deutschsprachige Tageszeitung im Internet.

Gab es schon Werbung, als derStandard.at live gegangen ist?

Nein, beim Go-live gab es noch keine Werbung. Es war aber klar, dass sich die Website refinanzieren muss. Also entweder über Werbung oder über Abos. Wir haben uns recht bald überlegt, wie wir derStandard.at finanzieren.

Die erste Werbung ist am 16.6.1996 erschienen und war von der Creditanstalt. Es wurde quasi einfach das Logo auf die Website „geklebt“. Es gab keinen Link und keine Landingpage. Wir haben uns dann intensiv damit beschäftigt, wie Onlinewerbung funktionieren kann. Dafür haben wir eng mit der Verkaufsabteilung des Print-STANDARD kooperiert.

Die Anfänge der Werbung auf derStandard.at:

Wie ist das STANDARD-Forum entstanden?

Uns war schnell klar, dass das Medium Internet nicht nur ermöglicht, die Tageszeitung digital zu verbreiten, sondern vor allem den Leser:innen einen Rückkanal bieten kann. Das unterscheidet das Medium Internet von anderen.

Diese 3 besonderen Eigenschaften des Internets gelten meiner Meinung nach bis heute:

  • Aktualität und Berichterstattung in Echtzeit
    auch Liveberichterstattungen (das macht das Internet so aufregend).
  • Interaktivität (der Rückkanal): Ich kann in der Öffentlichkeit antworten und meine Meinung kundtun.
    Das erste Posting ist 1999 auf derStandard.at online gegangen. DER STANDARD war  die erste Online-Zeitung weltweit, die ein Forum unter den Artikeln möglich gemacht hat. Somit wurde Feedback aus dem Publikum zu unseren Themen und Artikeln möglich.
  • Es werden unheimlich viele Daten auf den Rechnern verfügbar gemacht. Durch diese Vielzahl an Daten hat sich unter anderem die KI entwickelt. Daten werden gespeichert und verarbeitet. Das war uns früh bewusst. Wir haben unseren User:innen ein Textarchiv mit Suche angeboten. Auch da waren wir schon sehr früh dran im Vergleich zu anderen Medien.

Das erste Posting auf derStandard.at erschien am 13.04.1999

Es ist einer der weltweit ersten Userkommentare überhaupt, die zu einem redaktionellen Onlineartikel publiziert wurden.

Wir haben die größte Community im deutschsprachigen Raum. Was ist das Erfolgsgeheimnis?

Weil wir das Forum immer als unerlässlichen Teil der Interaktivität mit unseren User:innen gesehen haben. Wir haben das derStandard.at Forum von Anfang an sehr ernst genommen. Es war für uns nie eine lästige Pflicht, die Community zu betreuen. Auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten haben wir das Forum weiter betrieben. Und wir schrecken auch nicht vor schwierigen Themen zurück.

Die User:innen können zu allen Themen posten, auch wenn diese aufwendiger zu moderieren sind. In unserem Qualitätsversprechen ist auch das Forum eingeschlossen. Wir haben viel dafür getan, um diesen qualitätsvollen Raum zur Verfügung zu stellen.

Bei anderen Medien werden Foren oftmals auf- und wieder zugesperrt, so funktioniert  das allerdings langfristig nicht.

Was wünschst du deinem mittlerweile erwachsenen „Baby“ derStandard.at für die nächsten 30 Jahre?

Die Weltherrschaft wünsche ich mir! (lacht)

Ein Wunsch ist, dass wir weiterhin wachsen und außerhalb Österreichs eine bedeutende Rolle spielen. Und dass wir es schaffen, die Verwerfungen, die durch Social Media entstehen (Hass & Spaltung, wir spüren das alle), zu entschärfen. Also, dass wir einen Beitrag leisten für einen respektvollen Umgang miteinander. Wir tun sehr viel dafür.

Wir haben es geschafft, sichere Räume für Diskussionen zur Verfügung zu stellen.

Für den Bereich Werbung wünsche ich mir, dass Werbung auch in Zukunft einen wertvollen Beitrag zur Finanzierung dieser Aufgabe leistet. Und dass Werbung unseren User:innen Spaß macht.

Was ist deine Lieblingswerbeform?

Das ist eindeutig die Startseitenmutation (Best Practice). Weil sie jedes Mal überraschend ist. Hier sieht man schön, was man mit kreativen Umsetzungen erreichen kann und wie es gelingt, dass User:innen sich mit Werbung auseinandersetzen.

Das ist ein schönes Kompliment für diese Werbeform. Damit beschließen wir das Interview und sagen vielen Dank für die spannenden Einblicke in die Entstehungsgeschichte von derStandard.at!